Note: Mangelhaft. Österreichs Treppenhäuser voller Sturzgefahren

721

Wackelige Geländer, ungleiche Stufenhöhen, mangelnde Beleuchtung. Eine neue Untersuchung des KFV ergab in Österreichs Stiegenhäusern vielerorts Mängel und Sicherheitsrisiken. Statistisch betrachtet stirbt in Österreich mindestens ein Mensch pro Woche durch einen Treppensturz. Durch eine angemessene Gestaltung könnten tausende Unfälle verhindert werden.

Wien, 17. Mai 2021. Rund 28.500 spitalsbehandelte Treppensturzunfälle ereignen sich jährlich in Österreich; d.h. alle 18 Minuten verletzt sich im statistischen Durchschnitt ein Mensch bei einem Treppensturz im Innenbereich seines unmittelbaren Wohnbereichs so schwer, dass er eine Krankenhausbehandlung in Anspruch nehmen muss. Jede Woche stirbt in Österreich (mindestens) ein Mensch an den Folgen eines Treppensturzes (durchschnittlich 58 Menschen pro Jahr). Damit gehören Sturzunfälle – und im Besonderen Treppensturzunfälle – zu den stark unterschätzen Gesundheitsrisiken.

Ernüchternde Ergebnisse im KFV-Sicherheitscheck
Eine aktuelle Erhebung des KFV (Kuratoriums für Verkehrssicherheit) zeigt: Viele Unfälle könnten vermieden werden, wenn Treppenhäuser sicher gebaut und gestaltet wären. „Zu Stürzen kommt es in der Regel, wenn der vom Menschen automatisierte Bewegungsablauf gestört wird. Solche Faktoren sind z.B. Stufenhöhen die sich plötzlich ändern, unzureichende Beleuchtung wodurch Treppenanfänge oder Stufenkanten schwer erkennbar werden oder fehlende Handläufe“, so KFV Sprecherin und Präventionsexpertin Dr. Johanna Trauner-Karner. Österreichweit wurden 700 mehrgeschossige Wohnhäuser unterschiedlicher Bauperioden mit mehr als drei Wohneinheiten überprüft. Die Ergebnisse waren nicht nur in Altbauten (Baujahr bis 1918) und Zwischen- und Nachkriegsbauten (Baujahr 1919 bis 1960), sondern auch in Neubauten (Baujahr ab 1961) ernüchternd. Sicherheitsrisiken finden sich vor allem im Bereich der Beleuchtung, Handläufe oder Absturz-Sicherungen für Kinder.

Handläufe: keine, zu kurz oder zu wackelig und wegen Corona stark gemieden
In drei Viertel der erhobenen Wohnbauten waren nicht immer Handläufe auf beiden Seiten vorhanden. „Obwohl auf Treppen mit zwei oder mehr Stufen laut ÖNORM B 5371 Handläufe auf beiden Seiten vorzusehen sind, ist dies in vielen Wohnhäusern nur auf einer Seite der Fall. Dabei ist das Geländer auf beiden Seiten eine wichtige Sturzvorkehrung“, so Trauner-Karner. „Für ein sicheres Stiegenhaus sollten Handläufe außerdem noch 30 Zentimeter über das Ende der letzten Treppenstufe hinausreichen. Auch dies ist in vielen Häusern nicht erfüllt: Bei 43 Prozent der Gebäude endeten die Handläufe abrupt oder bereits davor. „Im Fall eines Sturzes im unteren Treppenbereich ist dieser Sicherheitsmangel ein besonderes Problem“, warnt Trauner-Karner. In Zeiten von Corona werden Geländer von den Menschen zudem häufig gemieden. „Unsere Erhebungen zeigen, dass viele Menschen seit Beginn der Corona Krise vermeiden, den Handlauf beim Treppensteigen anzufassen, um einer Ansteckung vorzubeugen. Das ist nachvollziehbar aber ggf. auch über die Verwendung von Handschuhen überbrückbar“. Auch die Beleuchtung kann schnell zu einem Problem werden: Etwa jedes 10. Treppenhaus (9%) ist schlecht, weitere 38 Prozent nicht korrekt ausgeleuchtet.

Lebensgefahr für Kinder im Treppenhaus: Test zeigt – oftmals Überklettern und Durchschlüpfen möglich
„Neben allgemeinen Sicherheitsrisiken haben wir uns Österreichs Stiegenhäuser auch in Bezug auf die Kindersicherheit angesehen. Wie leicht könnte beispielsweise ein Kind ein Geländer im vierten Stock überklettern?“, so Trauner-Karner. Auch hier hat sich gezeigt: In weit mehr als der Hälfte der überprüften Gebäude war das Geländer bei einer bei einer möglichen Absturzhöhe von bis zu 12 Metern niedriger als einen Meter. Mehr als ein Drittel der Geländer enthielt Elemente, die als Aufstiegshilfe genutzt werden konnten – ein Hochklettern für Kinder also ermöglichten. Auch der Maximalabstand von 12 cm zwischen zwei Geländersprossen sowie der Abstand zwischen Boden und Geländer, der ein Durchschlüpfen von Kindern verhindern soll, wurde in vielen Gebäuden überschritten.

Vermieter haften
Die Umsetzung von Sicherheitsmaßnahmen wird schwierig, wenn es sich nicht um die eigenen vier Wände, sondern um eine Mietwohnung in einem Mehrparteienhaus mit mangelhaftem Stiegenhaus handelt. Jedem Vermieter muss klar sein, dass ihm im Falle eines Sturzes eine Klage droht, wenn er sich nicht um die Sicherheit seiner Treppenhäuser kümmert. Deshalb appelliert das KFV an alle Vermieter, ihre Stiegenhäuser technisch sicher zu gestalten. Die Sturzgefahr kann so wesentlich verringert werden