Verkehrssicherheitsreport 2023: Der tägliche Tod auf der Straße

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370 Verkehrstote im Jahr 2022 – die Zahlen steigen wieder. Täglich stirbt ein Mensch auf Österreichs Straßen. Besonders tragisch: 13 Kinder verloren im Vorjahr bei Verkehrsunfällen ihr Leben. Weitere Sorgenkinder der Sicherheitsarbeit: notorische Raser und ungeübte E-Bike-Lenkende. Die Verkehrsmoral der Österreicher*innen schwächelt im internationalen Vergleich: Übergroße Tempo-Toleranz und stete Ablenkung durchs omnipräsente Handy stellen unserem Verkehrsverhalten kein Vorzugszeugnis aus.

Unfallgeschehen im Jahr 2022
370 Menschen starben im Jahr 2022 auf Österreichs Straßen – der drittniedrigste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen. Doch nach den Pandemiejahren 2020 und 2021 (344 / 362 Getötete) mit lockdownbedingt eingeschränkter Mobilität steigen die Verkehrstotenzahlen wieder an. Traurige Tatsache ist: Täglich stirbt ein Mensch auf Österreichs Straßen, fast stündlich wird jemand schwer verletzt.

Österreich weiterhin im EU-Mittelfeld
Im Vergleich der europäischen Staaten rangiert Österreich weiterhin im Mittelfeld. Mit 41 im Straßenverkehr getöteten Menschen pro 1 Mio. Einwohner*innen liegt Österreich unter dem EU-Durchschnitt von 46 – und somit auf Platz 14 im europäischen Ranking (Quelle: ETSC, 17th Annual PIN Report 2023). Allerdings weisen die Schweiz mit 28 und Deutschland mit 33 Getöteten pro 1 Mio. Einwohner*innen wesentlich geringere Werte auf als Österreich.

Tragische Zahlen: 13 tote Kinder
13 tödlich verunglückte Kinder im Alter von 0-14 Jahren – so die tragischsten Verkehrsunfallzahlen des Jahres 2022. Im Jahr 2021 kamen sechs Kinder ums Leben, im Jahr 2020 waren es zwei. Auch hier zeigt sich der Post-Corona-Trend: Die Lockdown-Effekte nehmen eindeutig ab.

40 getötete Radfahrer*innen, die Hälfte davon E-Bike-Lenkende
Im Jahr 2022 starben 40 Fahrradnutzende. Ein Viertel aller schwer verletzten Radfahrenden waren Menschen im Alter 65+. Besonders unter E-Bike-Nutzenden steigen die Zahlen der fatalen Ereignisse – und das in allen Altersklassen: 20 von 40 getöteten Radfahrenden waren E-Bike-Lenkende. Eine weitere unterschätzte Gefahr: Vier Menschen starben während E-Scooter-Fahrten.

Mehr als die Hälfte aller schweren Unfälle innerorts
Rund 54 % aller schweren Unfälle ereignen sich in Ortsgebieten, 42 % auf Freilandstraßen, 4 % auf Autobahnen und Schnellstraßen.

 

Sicherheitsindikatoren

  • Geschwindigkeit: Im Jahr 2022 wurden von KFV-Forschungsteams die gefahrenen Geschwindigkeiten von rund 23 Mio. Kfz gemessen – an österreichweit 230 Straßenstellen mit maximal einer Fahrspur je Richtung und de facto frei wählbarem Tempo. Drastisches Fazit: Tempo 30 wird innerorts von rund 72 % der Pkw-Lenkenden überschritten, Tempo 50 wird von jeder zweiten Person am Steuer ignoriert. Im Freiland fahren bei Tempo 80 rund 25 % der Pkw-Lenkenden zu schnell, bei Tempo 100 sind immer noch rund 13 % zu rasant unterwegs. Messungen an 15 Stellen im Autobahnnetz bei Tempolimit 130 verzeichneten ein Durchschnittstempo von 120,2 km/h und eine Überschreitungsquote von rund 20 %. 
  • Helm & Schutzkleidung: Praktisch alle Motorrad- und Mopedfahrenden tragen Helm – die Nutzung angemessener Schutzkleidung ist dagegen ausbaufähig. Im Ortsgebiet sind nur 18 % der Motorradfahrenden adäquat adjustiert. Auf Mopeds & Rollern sollten zumindest Helm, festes Schuhwerk und lange Bein- und Oberkörperbekleidung Standard sein. Doch auch auf Moped & Co. beträgt die Tragequote geeigneter Kleidung innerorts nur magere 16 %. Sogar auf Freilandstraßen verzichten Nutzende einspuriger Kfz viel zu oft auf die schützende zweite Haut: Nur 68 % der Motorradfahrenden tragen außerorts Schutzkleidung. 
  • Radhelm: Obwohl der Radhelm für Kinder immer öfter zum fixen Begleiter wird, treten – trotz gesetzlicher Radhelmpflicht für Kinder bis zum 12. Lebensjahr – noch immer 12 % der Kinder ohne Helm in die Pedale. Echte Profis tragen Helme: 9 von 10 Sportler*innen tragen beim Radfahren Helm – im Alltagsverkehr schützen jedoch nur 37 % und im Freizeitverkehr nur 40 % der Radler*innen ihren Kopf. 
  • Sichtbarkeit: In der dunklen Jahreszeit ist die Sichtbarkeit von Fußgänger*innen überlebenswichtig. KFV-Beobachtungen zeigen: Kinder tragen öfter Reflektoren bzw. gut sichtbare Kleidung – je älter die Personen, desto unauffälliger ihr Look. Obwohl reflektierendes Outfit tendenziell öfter zum Street Style gehört, sind noch immer jedes vierte Kind und fast zwei Drittel der Erwachsenen bei Dunkelheit schlecht sichtbar zu Fuß unterwegs. 
  • Ablenkung: Ablenkung ist die häufigste Verkehrsunfallursache der letzten fünf Jahre. Schuld daran sind Nebentätigkeiten am Steuer wie Telefonieren (ohne Freisprecheinrichtung), Lesen oder Schreiben von Textnachrichten, Essen, Trinken, Navi-Bedienung et cetera. Mehr als jede*r dritte Zufußgehende, jede*r 13. Pkw-Lenkende und jede*r 70. Radfahrende sind im Straßenverkehr abgelenkt unterwegs.

 

Persönliche Einstellungen

Die Straße ist für alle da – und dennoch herrscht oft ungesunder Egoismus. Was halten wir Österreicher*innen von Sicherheitsmaßnahmen, Fremd- und Eigenverhalten auf der Straße?

Hier die Meinungen und Einstellungen der im Rahmen der jüngsten ESRA-Studie (E-Survey of Road Users‘ Safety Attitudes) befragten Österreicher*innen:

Akzeptanz von Sicherheitsmaßnahmen
Gut so: In puncto 0,0 Promille für Fahranfänger*innen (82 % Akzeptanz) und Befürwortung eines Verbots von Kopfhörern für Fußgänger*innen (49 %) liegt Österreichs Zustimmung über dem ESRA-Durchschnitt von 20 untersuchten europäischen Staaten.

Nicht ganz so gut: Bei der Beurteilung aller anderen Maßnahmen schwächelt Österreich in Sachen Sicherheitsbewusstsein, insbesondere bei der Befürwortung von Alkoholwegfahrsperren für Wiederholungstäter (72 % Ö vs. 79 % ESRA20) und der Helmpflicht für alle Radfahrenden (58 % Ö vs. 68 % ESRA20).

Verkehrsmoral, bitte kommen!

Auch beim berichteten Eigenverhalten im Straßenverkehr können Österreichs Lenkende im internationalen Vergleich nicht glänzen: Geschwindigkeitsüberschreitungen, Fahren nach Konsum von Alkohol und Handynutzung am Steuer sind in Österreich populärer als im ESRA20-Durchschnitt. Bei der Verwendung geeigneter Rückhaltesysteme für Kinder und beim Fahren über dem gesetzlichen Alkohollimit von 0,5 ‰ liegt Österreich im europäischen Durchschnitt.

In Sachen Radfahr-Etikette radeln wir allerdings mit gutem Beispiel voran: Musikhören mit Kopfhörern, Texten von Messages und Checken von Social Media während der Fahrt sowie Radfahren auf der Straße neben dem Radweg – diese teils gefährlichen Unsitten im Sattel werden von österreichischen Radfahrenden weniger häufig praktiziert als im ESRA20-Durchschnitt.

In puncto Akzeptanz von Schnellfahren liegt Österreich wiederum im Bereich der disziplinlosen Spitzenreiter: Überschreitungen der Höchstgeschwindigkeit goutieren Österreichs Autofahrer*innen in markant höherem Ausmaß als der ESRA20-Durchschnitt. Auch das Telefonieren ohne Freisprechanlage während der Fahrt ist für die wenigsten Österreicher*innen ein No-Go. Verhaltensweisen wie Fahren ohne Gurt, bei Müdigkeit oder über dem zulässigen Alkohollimit finden aber auch in Österreich nur geringe Akzeptanz.

 

KFV-Appell: Beim Lenken auch an andere denken!
Ein verlorenes Menschenleben pro Tag auf Österreichs Straßen – ein hoher Preis für die Freiheit der Fortbewegung. Dennoch wird Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit hierzulande in erschreckend hohem Maße toleriert – das Thema Tempo ist und bleibt der Schlüssel zu mehr Sicherheit. Moderne Mobilität braucht zeitgemäßes Umdenken: verantwortungsbewusste Menschen, die beim Lenken auch an andere denken. Niemand von uns hat ein Alleinrecht auf den Asphalt unter dem fahrenden Untersatz. Rasen darf weder Coolness-Faktor noch Kavaliersdelikt sein – was sind fünf Minuten Zeitersparnis gegen den Verlust eines ganzen Menschenlebens?

Unachtsamkeit ist die zweite große Baustelle der Bewusstseinsarbeit: Multitasking am Steuer muss wieder außer Mode kommen. Ablenkung ist ein wesentlicher Unsicherheitsfaktor, Nummer 1 der Unfallursachen der letzten fünf Jahre. Volle Konzentration voraus – so muss die Devise lauten. Das komplexe System Straßenverkehr braucht unsere ungeteilte Aufmerksamkeit. Soziale Intelligenz und Mut zur Entschleunigung sind gefragt – weil Leib und Leben die höchsten aller Werte sind.

Fazit der KFV-Fachleute: Der Weg zu mehr Sicherheit auf unseren Straßen ist noch weit, die To-do-Liste der Präventionsarbeit ist immer noch lang.

Der gesamte Verkehrssicherheitsreport 2023 zum Download:
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