Der Skitourenboom hält weiter an. Auch wenn den meisten Skitourengeher*innen die Gefahr von Lawinen bewusst ist, profunde Lawinenkenntnisse bringen nur wenige mit. Dabei kann gefährliches Halbwissen fatale Folgen haben.

In Österreich verunglücken durchschnittlich 173 Personen pro Jahr aufgrund von Lawinenabgängen, davon 21 Personen tödlich (Österreichisches Kuratorium für Alpine Sicherheit [ÖKAS], 2011-2021). In der laufenden Wintersaison 2021/22 sind bisher vier Todesfälle zu verzeichnen (KFV, Auswertung APA-Pressemeldungen, 2021-2022). Lawinen sind aber keineswegs nur für Skitourengeher*innen gefährlich. Auch beim Splitboarden (Tourenvariante für Snowboarder*innen), Schneeschuhwandern, Variantenfahren (Tiefschneeabfahrten im Skigebiet) oder beim Winterbergsteigen ist man im alpinen Gelände der Gefahr von Lawinen ausgesetzt.

Um gefährliche Fehleinschätzungen zu vermeiden, hat das KFV (Kuratorium für Verkehrssicherheit) die zehn häufigsten Irrtümer zusammengestellt:

Irrtum 1: „Es wird mich schon keine Lawine erwischen“
Der Irrtum liegt hier in der Vorstellung, dass Lawinen rein zufällige Ereignisse sind. In Wahrheit sind nur die wenigsten Lawinenunfälle spontanen Lawinenabgängen geschuldet. In den meisten Fällen wird eine Lawine von den Wintersportler*innen selbst ausgelöst – in Form von sogenannten Schneebrettern.

Irrtum 2: „Lawinenwarnstufe 3 bedeutet mittlere Gefahr“
Ein häufiger und äußerst gefährlicher Irrtum ist die Fehlinterpretation der fünfteiligen Lawinenskala. Lawinenwarnstufe 3 bedeutet nicht wie in der Schule „befriedigend“ oder „mittelmäßig“, sondern „erheblich“. Bei Stufe 3 ist die Schneedecke nur schwach verfestigt. Schon durch eine geringe Zusatzbelastung, wie eine einzige Person, sind Lawinenauslösungen möglich.
Dass die Warnstufe 3 für ungünstige Verhältnisse steht, zeigt auch die Unfallstatistik: In der Wintersaison 2018/19 ereigneten sich mehr als die Hälfte (53%) der Lawinenunglücke bei Stufe 3 (ÖKAS, 2020), im Jahr davor waren es sogar 64 Prozent. Wer bei Warnstufe 3 sicher unterwegs sein will, benötigt profunde Lawinenkenntnisse und Erfahrung. Das Einhalten von Entlastungsabständen (plus 10 Meter), das Meiden von Hängen über 35 Grad (Stop-or-Go-Methode des Österreichischen Alpenvereins) sowie die Abfahrten einzeln vorzunehmen, gehören zu den wichtigsten Verhaltensweisen, um das Risiko von Lawinenunfällen zu reduzieren.

Irrtum 3: „Bei Spuren im Hang kann mir nichts passieren“
Spuren im Tiefschneehang vermitteln häufig ein falsches Sicherheitsgefühl: „Bei den Skifahrern zuvor ist alles gut gegangen, also wird auch mir nichts passieren“. Tatsächlich kann eine Lawine auch erst durch später nachfolgende Skifahrer*innen ausgelöst werden. Als sicher sind lediglich jene Hänge zu bewertet, die den ganzen Winter stark befahren werden. Stark befahren bedeutet, dass keine Spur mehr gesetzt werden kann, ohne eine andere zu kreuzen.

Irrtum 4: „Im Wald bin ich vor Lawinen sicher“
Auch diesem Trugschluss fielen schon zahlreiche Skifahrer*innen zum Opfer. Denn in lichten, gut befahrbaren Wäldern ist die Lawinensituation gleich wie auf freien Hängen zu bewerten. Erst wenn der Wald so dicht ist, dass man nicht mehr problemlos durchfahren kann, bietet er vor Lawinen Schutz.

Irrtum 5: „Im Notfall kann ich der Lawine davonfahren“
In Extremsportfilmen sind Schussfluchtfahrten vor Lawinen immer wieder zu sehen. In den meisten Fällen ist das Davonfahren jedoch nicht möglich, weshalb man keinesfalls darauf setzen sollte. Löst sich eine Lawine, bricht meist ein ganzes Schneebrett unter den Füßen ab. Der abgleitende Schnee zieht den Sportler*innen die Beine weg und reißt sie mit nach unten – keine Chance zu entkommen.

Irrtum 6: „In einer Lawine kann ich schwimmen“
Bei Lawinenabgängen bewegen sich Tonnen von Schnee den Berg hinunter, mit Geschwindigkeiten von über 100 km/h. Auch wenn in Lehrbüchern schwimmartige Bewegungen, wie Treten und Strampeln, empfohlen werden, ist dies in der Praxis aufgrund der auf den Körper einwirkenden Kräfte meist nicht möglich – besonders wenn man sich nicht rechtzeitig von Skiern und Stöcken befreien kann.

Irrtum 7: „Weniger Schnee bedeutet weniger Gefahr“
Auch hier liegen viele falsch. Bei dünneren Schneedecken können durch das zusätzliche Gewicht von einer Person tieferliegende Schwachschneeschichten leichter gestört werden. Dickere Schneedecken sind weniger störanfällig, da sich der Druck besser verteilen kann. Besonders achtsam muss man beim Übergang von dünneren zu dickeren Schneeschichten sein. In diesen Zonen werden die meisten Lawinen ausgelöst.

Irrtum 8: „Mit einem Airbag-Rucksack kann mir nichts passieren“
Bei diesem Irrtum handelt es sich um sogenannte Risikokompensation: Der schützende Effekt von Lawinen-Airbags wird durch höhere Risikobereitschaft untergraben. Doch der Lawinen-Airbag ist keine Garantie, dass man einen Lawinenunfall unbeschadet übersteht. Bei Gegenhängen und Mulden kann sich der fließende Schnee einer Lawine stauen, wodurch es immer wieder zu Totalverschüttungen und folglich auch zu Todesfällen trotz Airbag-Rucksack kommt. Daher sollte die Entscheidung, ob man in einen Hang einfährt oder nicht, unter Berücksichtigung der Schnee und Wetter-Verhältnisse und nicht aufgrund eines Airbags getroffen werden.

Irrtum 9: „In der Nähe von Skipisten ist man vor Lawinen sicher“
Zahlreiche Lawinenunglücke beweisen das Gegenteil. Trotz Lawinensprengungen geschehen auch beim Variantenfahren in Skigebieten immer wieder Lawinenunfälle. Vergangene Wintersaison 2020/21 sind zwei der 14 tödlichen Lawinenunfälle beim Variantenfahren passiert (ÖKAS, 2021). Um sichere Entscheidung zu treffen, sollte daher auch beim Freeriden immer der aktuelle Lawinenlagebericht studiert und für den Ernstfall eine vollständige Lawinennotfallausrüstung, bestehen aus Lawinen-Pieps, Schaufel und Sonde, mitgeführt werden.

Irrtum 10: „Im Bereich von Skigebieten wird man schneller gerettet“
Ein lebensgefährlicher Irrtum. Das Problem: Der tödliche Knick. Die Auswertung zahlreicher Lawinenunfälle hat ergeben, dass die Überlebenskurve nach 15 Minuten abrupt abfällt. Sind nach 15 Minuten rund 90 Prozent der Verschütteten noch am Leben, sind es nach 40 Minuten nur noch rund 35 Prozent. Bis die Bergrettung beim Unfallort eingelangt, ist bereits meist zu viel Zeit vergangen. Daher ist eine frühzeitige Bergung durch die Bergkamerad*innen – mit Hilfe eines Lawinenverschüttetensuchgeräts (LVS-Gerät), Schaufel und Sonde – die beste Chance, den Unfall unbeschadet zu überleben.