Gefahr Toter Winkel: So könnten Unfallrisiken reduziert werden

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Jeder fünfte getötete Fußgänger (21%) und jeder sechste getötete Radfahrer (16%) verstarben in den vergangenen Jahren bei Unfällen mit Lkw-Beteiligung. Damit gibt es in diesem Bereich nach wie vor großes Potenzial zur Erhöhung der Verkehrssicherheit – eine Vielzahl an sinnvollen Maßnahmen – vom Abbiegeassistenten bis hin zu infrastrukturellen Adaptierungen wie getrennten Ampelphasen für den rechtsabbiegenden Verkehr und Fußgänger bzw. Radfahrer – steht zur Verfügung.

Unfallursache Tote Winkel: Ein Blick auf die Unfallstatistik zeigt, dass Lastkraftwagen im Schnitt an sechs Prozent der Unfälle mit Fußgängern und an drei Prozent der Unfälle mit Radfahrern beteiligt sind. Da Unfälle mit Lkw- Beteiligung aber oftmals schwere Unfallfolgen haben, ist der Anteil des Kollisionsgegners Lkw an den Getöteten hoch: So starb jeder fünfte getötete Fußgänger (21%) und jeder sechste getötete Radfahrer (16%) in den Jahren 2015 bis 2019 bei einem Unfall, an dem ein Lkw beteiligt war. „Tiefenuntersuchungen zeigen, dass sich Toter-Winkel-Unfälle mit dem Radverkehr oft beim Rechtsabbiegen von Lastkraftwagen ereignen. Unfälle mit Fußgängern ereignen sich häufig dann, wenn der Lkw aus dem Stand anfährt und der Fußgänger unmittelbar vor dem Lkw steht oder quert“, erläutert Dipl.-Ing. Klaus Robatsch, Leiter der Verkehrssicherheitsforschung im KFV.

Mix aus Fahrzeugausstattung, Infrastruktur und Bewusstseinsbildung gefragt

Neben technischen Hilfsmitteln wie dem Abbiegeassistenten und zielgerichteten Infrastrukturmaßnahmen spielt zur Vermeidung von entsprechenden Unfällen auch das Thema Bewusstseinsbildung eine große Rolle: „Während wir auf Basis von Fokusgruppen wissen, dass Lkw-Fahrer sich der Problematik rund um den Toten Winkel bewusst sind, ist das Gefahrenbewusstsein bei Fußgängern und Radfahrern weniger ausgeprägt“, betont Robatsch. „Unfallanalysen verdeutlichen, dass Fußgängern und Radfahrern wichtige Informationen darüber, was Lkw-Lenker sehen können, fehlen. Ihnen ist oftmals nicht bewusst, dass Lkw-Fahrer sie in vielen Fällen nur schwer oder gar nicht erkennen können. Hier muss es uns gelingen, alle Verkehrsteilnehmer gezielt über die Sichtverhältnisse in Lkw aufzuklären. Um Unfälle wie im Jahr 2019 zu verhindern, sind zusätzlich aber auch weitere Maßnahmen erforderlich: vom Einbau von Assistenzsystemen bis hin zu Optimierungen der Infrastruktur.“ Denn neben der Erhöhung der Risikowahrnehmung bietet sich eine breite Palette an effektiven Verkehrssicherheitsmaßnahmen an – angefangen von der Fahrzeugausstattung (Verbesserung der Sicht, richtige Spiegeleinstellung) über Assistenzsysteme (Abbiege- und Notbremsassistent) bis hin zu Verbesserungen in der Infrastruktur (getrennte Ampelphasen für den rechtsabbiegenden Verkehr und Fußgänger bzw. Radfahrer, für Radfahrer vorgezogene Haltelinie, ausreichende Sichtweiten im Kreuzungsbereich usw.).

KFV-Überblick über Möglichkeiten zur Prävention von Toter Winkel-Unfällen (Auszug):

Fahrerassistenzsysteme

• Abbiege-Assistenzsysteme sind technische Systeme, die die Lenker eines Kraftfahrzeugs auf Verkehrsteilnehmer hinweisen, die sich rechts vom Kraftfahrzeug befinden und bei einem beginnenden Abbiegevorgang gefährdet werden würden. Es gibt sowohl Systeme, die ab Werk verbaut werden, als auch Nachrüstlösungen. Nach der neuen EU- Typengenehmigungsverordnung müssen Abbiege-Assistenzsysteme ab dem Jahr 2023 in Lkw und Bussen eingebaut sein. Unternehmen oder Halter von Lkw können seit September 2019 beim Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) eine Förderung für die Kosten von Anschaffung und Einbau von Rechtsabbiege-Assistenzsystemen in Bestandsfahrzeugen und Neufahrzeugen in Höhe von höchstens 25 Prozent bzw. bis zu 900 EUR pro neu installiertem System beantragen.

Infrastruktur

Infrastruktur-Maßnahmen spielen meist nicht nur im Hinblick auf Toter-Winkel-Unfälle eine Rolle, sondern haben auch viele andere positive Auswirkungen auf die Sicherheit ungeschützter Verkehrsteilnehmer – z.B. kommen bessere Sichtweiten ungeschützten Verkehrsteilnehmern auch in anderen Situationen zugute.

  • Zeitlich getrennte Grünphasen (Konfliktfreie Phase / Phasentrennung): Eigene Phasen für den rechtsabbiegenden Verkehr können Konflikte zwischen abbiegenden Fahrzeugen und Fußgängern bzw. Radfahrern verhindern. Auch wenn es dadurch zu einer Verlängerung der Umlaufzeit kommt, ist diese Maßnahme aus Sicht der Verkehrssicherheit sinnvoll und notwendig.
  • Doppelte Haltelinie / vorgezogene Aufstellfläche: Diese Maßnahme sieht die Einrichtung eines vorgezogenen Wartebereichs für Radfahrer vor der Haltelinie des motorisierten Verkehrs vor, sodass sich Radfahrer gut sichtbar vor dem motorisierten Verkehr aufstellen können. Unter anderem wird die Maßnahme auch als sogenannte Fahrradbox (Bikebox) bezeichnet. Durch die vorgezogene Aufstellfläche können die Radfahrer besser gesehen werden, wenn die Ampel auf Grün schaltet. Die Wirksamkeit der Maßnahme ist nur für bei Rot eintreffende Radfahrer gegeben.
  • Gemeinsamer Fahrstreifen für geradeausfahrende Radfahrer und rechtsabbiegende Kfz: Hier kann der rechte Fahrstreifen einer Knotenpunktzufahrt vom geradeausfahrenden Radverkehr und von rechtsabbiegenden Kfz genutzt werden. Der Radverkehr ist dadurch im direkten Sichtfeld der Kfz-Lenker.
  • Frühere Grün-Ampelschaltungen für Fußgänger und Radfahrer (vorauseilende Grünphasen): Um die Sichtbarkeit von Fußgängern und Radfahrern an lichtsignalgeregelten Kreuzungen zu erhöhen, können frühere Grün-Ampelschaltungen (vorgezogene Grünphasen) für Fußgänger und Radfahrer eingerichtet werden. Radfahrer und Fußgänger befinden sich früher im zentralen Sehbereich und sind dadurch, dass sie bereits in Bewegung sind, leichter wahrnehmbar für Kfz-Lenker.